Franck Boclet Leather


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Vor Kurzem habe ich in der italienischen Vogue die Kollektion von Franck Boclet entdeckt. Meine Aufmerksamkeit fesselte sofort die Obsession des Haute-Couture-Designers für Eleganz, Luxus und Komfort und seine signifikante Eigenheit, mit der er die maskuline Silhouette in ein Universum von Detailtreue, Passform und Proportion projiziert. Der aus Paris stammende Designer (der mir bis dato überhaupt kein Begriff war, wie ich zu meiner Schande gestehen muss) begann sich schon als Teenager für Mode zu interessieren. Er liebte es zwischen dem dritten und vierten Arrondissement durch Marais zu flanieren und in dortigen Second-Hand-Läden nach Besonderheiten zu stöbern. Deshalb gab es für ihn auch keinen Plan B, als er beschloss die Kunst des Schneiderhandwerks von der Pike auf zu erlernen. Der Modeschöpfer liebt das Spiel mit Gegensätzen und scheint diese in vollkommener Nonchalance zu vereinen. Gerne provoziert er mit einem offenkundig extrem kühnen und maskulinen Modestil, der jedoch erstaunlicherweise eine ihm innewohnende feminine Widersprüchlichkeit ausstrahlt. So schickt er seine Männermodels im Kimono-inspirierten Tuxedo und Lackturnschuhen oder mit perlenbesticktem Seidenhemd und Rüschenschaal unter einem asymmetrisch und extrem schmal geschnittenen Mantel mit körpernaher Taille, abfallenden Kragen und Manschetten über den Catwalk. Ist das noch eine Mode der Funktionalität oder pure Avantgarde? Muss sich Mode überhaupt kategorisieren lassen? Schließlich konstatiert der Schöpfer selbst, dass der selbstbewusste Mann sich nicht auf einen Stil reduzieren lassen sollte, denn wahrer Stil ist, alle Stile hinter sich zu lassen. Diese Balance der Kontraste ist das Markenzeichen von Monsieur Boclet und verhalf ihm bereits Mitte der 80er Jahre in der Modebranche zu einem veritablen Namen. Eine Bilderbuchkarriere begann und er arbeitete für namenhafte Designer wie Kenzo oder Courrèges und später als künstlerischer Leiter der Herrensparten für Francesco Smalto und Emanuel Ungaro.
 
„Wie meine Modekreationen wollte ich eine Duftkollektion kreieren: vier Düfte, meinen Codes entsprechend, die ein Mann je nach Stimmung braucht, nach seiner Verfassung, um so den Duft auf die Zeit anzupassen. Es gibt immer mindestens vier Arten sich zu kleiden, vier Jahreszeiten und somit vier Düfte. Mich ziehen starke Düfte an, denn sie markieren für mich wichtige Momente in meinem Leben.“
- Franck Boclet


 
Mit den Jahren wurde ihm bewusst, dass unsere Kleidung so viel über uns kommuniziert, wer wir sind, was wir tun, was wir mögen. 2011 hat er deshalb seine Leidenschaft und Begeisterung für Mode mit der Gründung seines eigenen Labels gekrönt. In vollkommener Freiheit kann er nun seinem kreativen Feingefühl für Schwarz-Weiß und seinem extrem ungewöhnlichen Hang zum Materialmix Ausdruck verleihen und sein künstlerisches Leitmotiv - klassische Formen und Punk-Rock-Chic – als zeitlose Referenz zur traditionellen Welt des Luxus mit Präzision in Szene setzen.

Franck Boclet erfüllte sich auch den Wunsch, seinen Modestil mit einer olfaktorischen Signatur zu begleiten und lancierte eine prachtvolle Sammlung von Düften. Alle Düfte sind nach einem ihrer Hauptbestandteile benannt, die uns Monsieur Boclet auf einem olfaktorischen Weg der Sinne erkunden lässt. Ihr könnt es euch sicherlich schon denken, genau wie die Mode, sind auch die Düfte von seinem Image des Chamäleons, eines Mannes, der sich nie festlegt und immer für gewagte Überraschungen gut ist, geprägt.

Die Basis jeder Kreation ist ein Hauptmaterial, das mit Besonderheiten und der Bandbreite seiner Facetten die Phantasie des Designers entzündet, Perspektiven eröffnet und den Stil der vollendeten Kreation prägt. In der Parfumerie ist es nicht anders. Franck Boclet hatte von Anbeginn seiner Karriere eine leidenschaftliche Schwäche für Leder. Bis heute liebt er es dieses Material mit schöpferischem Wagemut in seiner Mode äußerst ungewöhnlich zu interpretieren, in dem er weichfließende, schimmernde Jacquardstoffe zu derben Lederjacken kombiniert oder edle Smokinghosen frech und ungezwungen in spitzenbesetzte Lederboots stopft. Seine Extravaganz wird auch deutlich, wenn er seine vornehme Variation der Fliegerjacke aus Wildleder zur nietenbesetzten Wollhose präsentiert. Ob nun geschmeidig oder eher fest. Leder trägt sich wie eine zweite Haut. Leder atmet. Leder duftet und verströmt unterschwellig immer den Hauch einer unbändigen Rock-Star-Attitude. Das inspiriert Franck Boclet nicht nur zu modischen Höhenflügen, sondern nun auch zu einem holzig-orientalischen Leder-Duft.
 
Bereits nach dem ersten Aufsprühen, wusste ich sofort, dass dies ein Duft für mich ist. Das Spiel mit den verschiedenen Facetten von Weiblichkeit und Männlichkeit ist ein Métier, das Monsieur Boclet perfekt beherrscht und deshalb finde ich, dass seine als maskulin deklarierten Düfte, durchaus auch etwas für die Damenwelt sind. Zumindest Leather. Denn dies ist ein sehr persönlicher Duft, er hat keine laute Aura und bleibt ganz nah bei mir. Eigentlich erstaunlich, denn in der Mode bevorzugt Franck Boclet harte Kanten und Schnitte voller Volumen. Doch dieser Duft hat nichts davon. Er fließt. Er ist weich. Immer wieder nehme ich ihn im Zuge einer Bewegung wahr. Wenn ich denke, er wäre schon verflogen, kommt er mir im nächsten Moment mit offenen Armen wieder entgegen. Diese starke und sinnliche Duftnote mit ihren vielfältigen Aromen ist authentisch, intensiv, geheimnisvoll und animalisch - ein Genuss - und erinnert mich an einen feinsten Lederduft (hmmm... so sanft und zart... wie Suède... vielleicht... das kann ich gar nicht so klar definieren).
 
Das Kuriose, die Ledernote in einem Parfum hat nichts mit dem natürlichen Geruch einer Tierhaut zu tun. Leder ist keine eigenständige Duftnote und kann nicht aus Leder gewonnen werden, wie Blumenessenzen aus Blüten (ohnehin ist der Eigengeruch der Tierhaut eher unangenehm). Vielmehr handelt es sich um die abstrakte Vorstellung eines Parfumeurs, wie eine bestimmte Art von Leder duften sollte. Schließlich entstand im Paris des 16. Jahrhunderts eine ganze Branche, die darauf spezialisiert gewesen ist, geschmeidige und kunstvoll gefertigte parfumierte Lederaccessoires herzustellen, die bei der französischen Aristokratie äußerst beliebt waren, allerdings nicht den natürlichen Geruch von Leder verströmten, sondern eine Imagination von einem angenehmen Lederduft. So wurden auch aus den tanneurs-gantiers (Gerbern und Handschuhmachern) die gantiers-parfumeurs (Handschuhmacher und Parfumeure), deren Aufgabe es gewesen ist, den strengen Geruch von gegerbtem Leder mit üppig-duftenden Ölen zu neutralisieren und zu kaschieren. Unsere heutige olfaktorische Vorstellung eines Lederdufts entsteht sowohl aus der Vermischung einer Reihe natürlicher Ingredienzien, als auch aus synthetisch erzeugten Stoffen. Allerdings hat Leather von Franck Boclet nichts vom harschen Duft eines klassischen Cuir de Russie mit den charakteristisch scharfen Aromen von Birkenholz (obwohl eine traditionelle Kategorisierung generell recht schwer fällt, da Lederdüfte sich mittlerweile der klaren Einordnung in russisches und spanisches Leder entziehen und auch andere olfaktorische Einflüsse in sich versammeln)

Die Parfumeurin Mélanie Leroux entschied sich aber wohl trotzdem dem Flair des Peau d’Espagne Tribut zu zollen und einen Duft zu erschaffen, der von blumigen und frischen Aromen inspiriert ist, jedoch auch würzige arabisch-orientalische Anklängen in sich vereint. Daraus hat sie einen Lederduft komponiert, der zwar kräftig ist, jedoch dezent eingesetzt wird und somit milder, edler, weicher und sanfter in seiner Erscheinung wirkt (dies ist keine der bekannten Ledernoten – zart und doch derb, in sich ruhend und doch gefährlich, rau und gleichzeitig zurückhaltend sinnlich, ungreifbar, charismatisch und unwiderstehlich – meine Synapsen spielen verrückt).

Das Leather von Franck Boclet zelebriert seinen Charme zu Beginn kultiviert mit einem eisigen Zitrusakzent. Zuerst nur ein pikanter Tropfen, der in eine goldene Silage von exotischen Gewürzen eingebettet ist. Die gesamte Fülle ihrer Aromen scheint fast zeitgleich emporgehoben zu werden und ein wunderbares Potpourri von Safran und Kumin – so herb, frisch, süß, warm und aromatisch, ein wenig bitter und sehr würzig – schwebt durch die Luft. Ein tiefgründiges Gewürzspektakel mit vielerlei Eindrücken bildet sich daraus und belebt, um die leichte Zitrussäure drapiert, meine Sinne (die Gewürze verleihen dieser Note mit ihren kräftigen und scharfen, erst eiskalten und dann heiß glühenden Akzenten eine neue Energie und einen orientalischen Kolorit, ohne dabei stechend zu wirken oder direkt nach einem bestimmten Gewürz zu riechen – das ist sehr raffiniert umgesetzt, weil nichts hervorsticht und eine Einheit bildet, ich empfinde das als geschickt modellierte Harmonie von holzigen und würzigen Nuancen, die eine sehr schöne Frische entstehen lässt).

...und schon die nächste Sekunde macht süchtig... ein Spiel des Lichts, Sonne und Wärme strahlen durch diesen aromatischen ersten Akkord hindurch und setzen mich inmitten des schönen Herzens ab. Hier wird es immer wärmer und verführerischer. Allmählich macht sich auch die aufregende Ledernote bemerkbar und sorgt für eine umwerfend schöne, samtig-weiche Struktur des Dufts. Doch zuerst - irgendwie vertraut und doch ganz neu - umschmeicheln intensiv-duftender (nachtblühender) Jasmin und eine Rosen-Note nach altem Stil (die für eine schöne herb-fruchtige Spitze sorgt) mit ihrer zurückhaltenden Cremigkeit und einem zarten und luftigen Hauch ihrer floralen Süße das Leder, nähren sich ihm und den animalischen Akzenten langsam und behutsam an, die bereits anklingen, jedoch von der grünen Zitronennote noch sanft zurückgedrängt werden. Ihre Zeit ist noch nicht reif. Sie kommt später, wenn die würzig-grünen (und auch ein wenig scharfen) Elemente der Nelke - als überraschend-kantiger Kontrast zwischen den zarten Blüten - dazustoßen und mit einer holzig-changierenden Geschmeidigkeit aus dem Fond durchwärmt werden.
 
Das ist wie ein Flirt mit der Gefahr, der fesselt, elektrisiert, das Verlangen und eine ungeheure Anziehungskraft weckt. Nach und nach entsteht eine üppige Blumigkeit in perfektem Einklang mit den kraftvollsten und stärksten Farbtönen des Leders, die den Herzschlag dieser Kreation bestimmen und ein Glühen entstehen lassen. Während trocken-pudriges Ambra mit seinem balsamisch-tabakartig-rauchigen Bouquet den Duft in der Tiefe umhüllt und eine markante animalische Aura verleiht, wird eine besonders warme holzige Sinnlichkeit kreiert. Zum Finale wird dem Duft damit Komplexität verliehen und eine dunkle, faszinierend abgründige, Seele eingehaucht (ich bin auch am überlegen, ob hier nicht zusätzlich mit den reinsten und klarsten, kraftvoll-vibrierenden Oud-Aromen hantiert wurde - für eine Spur orientalischer Opulenz?!?). Der Duft symbolisiert das absolute Gleichgewicht eines Leders zwischen Intensität und Subtilität, das erst auf der Haut frei wird. Wie ein feuriger Flamenco, in dem rassige Männlichkeit mit leidenschaftlicher Weiblichkeit ekstatisch um die Vorherschafft ringen... und so schließt sich der Kreis zum Ende wieder beim Cuir Andalou oder geht die Reise doch weiter ins Morgenland?

Das Schöne an Leather von Franck Boclet, der Duft wirkt zu keiner Zeit überladen. Die würzigen und floralen Noten sind so gut dosiert, dass sie die kräftigen Lederanklänge weich, fast samtig, ausbalancieren. Deswegen ist der Leder-Duft zwar markant, doch niemals dominant. Heutzutage ist es schwer Parfums zu kreieren, die noch aus der Masse herausstechen, an die wir uns erinnern... Franck Boclet und Mélanie Leroux ist es gelungen. Applaus, bitte!
 
Fotos © Franck Boclet