Carner Barcelona Tardes, Rima XI

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Wenn sich die gleichen Zahlen im Kalender zu wiederholen scheinen, spüre ich, dass ich eine Auszeit von meinem Alltag brauche. Ich lebe im hier und jetzt und bin sehr dankbar für mein Leben und mein Studium und alles drumherum. Doch sehne ich mich ab und an danach dem Alltag zu entfliehen, nach einem Moment der Entschleunigung, ganz frei zu sein, keine Termine zu haben, morgens auch nicht aufstehen, nicht ständig auf die Uhr schauen zu müssen, keine Pläne, sondern Zeit zu haben, um der Welt entspannt zu begegnen. Damit ich den Enthusiasmus, für all das was mir so viel Freude bereitet, im Grau des Alltags nicht verliere. Internet sei Dank, verwandelte sich dieser anfänglich noch zögerliche Gedanke im Nu in eine Reise an die Ostsee. Schon bald spürte ich in mir ein Kribbeln für das, was alles kommt. Denn nichts entspannt mich mehr als die Reinheit des Meeres und der Luft – alles Blau in Blau – nichts, was das Auge sinnlos anstrengt. Zusammen mit meinen besten Freundinnen quartierten wir uns im Ostseebad Binz auf Rügen direkt am Meer ein – in einem wunderschönen Hotel, das nach einem kleinen Stern benannt ist, der um die Sonne kreist und geheimnisvoll dunkel glänzt. Von unserer Teerrasse aus hatten wir ein fantastisches Panorama auf die Ostsee. Dazu hatten wir an unserem (sehr) verlängerten Wochenende auch noch viel Glück mit dem Wetter und konnten die Zeit am feinsandigen Strand auskosten. Über die Portion Sonne de Luxe habe ich mich besonders gefreut. Das war wie ein Balsam für meine aufgekratzte Seele – ebenso wie die Hydro- und Aromatherapie basierten Wellnessbehandlungen im feinen Senso Spa. Gibt es etwas Schöneres, um den Kopf frei zu bekommen, als in einem Bademantel eingepackt auf einer Liege zu entspannen? Damit war meine Sehnsucht nach Wellness und vor allem am Strand spazieren zu gehen und die Meerluft zu genießen gestillt. Für mich war die Dachterrasse der schönste Ort. Jeden Abend sang eine Französin Lieder von Ella Fitzgerald, Peggy Lee und Etta James (mit dem eigentümlichen französischen Akzent klang es fabelhaft) und wir konnten bei einen Cocktail den Blick in den Sternenhimmel genießen. So haben wir es versäumt nachts schwimmen zu gehen. Kein schlechter Gedanke, hmmm? Das haben wir uns eigentlich vorgenommen und nun aufs nächste Mal verschoben. Ich bekomme immer noch glänzende Augen, wenn ich an die warme Atmosphäre und die frischen blutroten Pfingstrosen (meine Lieblingsblumen) in den Vasen überall in diesem Haus zurückdenke. Vor jeder Reise kommt die obligatorische Herausforderung – was nehme ich mit? Ich möchte auch im Urlaub keinesfalls auf meine geliebten Parfums verzichten und nehme immer zu viele mit. Diesmal war es anders. Ein guter Freund schenkte mir das Voyage Set von Carner Barcelona. Entgegen meiner üblichen Gepflogenheiten, mehrere Düfte mitzunehmen, habe ich nur Tardes & Rima XI mitgenommen und mich jeden Tag ein bisschen mehr in sie verliebt. Rima XI hat mich mit der Vision Marokkanischer Nanah Minze und meinem bewunderten Indischen Jasmin-Sambac auf Vanille, Ambra und Moschus im Sturm erobert. Tardes war hingegen anfangs etwas zaghaft. Doch auch sein seidig-sinnlicher Reiz aus Mandeln und Tonkabohne hat mich sanft verführt. Dank ihnen bleibt die Erinnerung an die Freude der sonnigen Tage am Meer nun als Duft immer bei mir. Ich habe mich im Zauber dieser Düfte vollkommen verloren. Vielleicht begleiten sie auch euch auf der nächsten Reise und eure Erinnerungen und Begegnungen werden eingehüllt in ihren Duft... 






Stellt euch den Anbruch eines warmen Spätsommernachmittags im mediterranen Süden der katalanischen Landschaft vor. Der erste Duft aus der Carner Barcelona Kollektion – Tardes – ist diesem Höhepunkt eines jeden Sommertages gewidmet... wenn die weiten goldenen Weizenfelder sich sanft im Wind wiegen und im traumhaften Licht der untergehenden Sonne baden... der Himmel in sanfte Violett- und Goldtöne getaucht ist und einen langen, genussvollen und herrlich entspannten Sommerabend ankündigt. Könnt ihr die friedvolle Stille erspüren?

Sara Carner wollte diese Impression ihrer Heimat im Flakon konservieren und uns an dieser berauschenden Atmosphäre mit dem Wohlgeruch ihres Parfums teilhaben lassen. Dieses sinnliche Aroma ist eine Erinnerung ihrer unbeschwerten Kindheit, an nicht enden wollende Sommertage, die sie zusammen mit ihrer Familie und ihren fünf Geschwistern im Garten ihres Hauses in Igualada verbracht hat.

Ich habe einige wundervolle Urlaube in der Provinz Barcelona verbracht (wer von euch war auch schon mal dort?) und erinnere mich allzu gerne an die surreale Schönheit dieser märchenhaften Landschaft zurück – eingebettet zwischen den wilden Felsformationen der Costa Brava im Norden und den breiten, goldenen Stränden an der südlichen Costa Daurada, den exotischen Reisfeldern des Ebrodeltas und den Vulkanlandschaften der Garrotxa und das alles umgeben vom mythischen Montserrat-Gebirge, das als Wallfahrtsort der Schutzheiligen Kataloniens auf der ganzen Welt bekannt ist. Ich fand es so spannend in den malerisch gelegenen Städtchen Peralada (Schauplatz sommerlicher Musikfestivals) oder Sitges an der Costa del Garraf (ein Geheimtipp ist die Kunstsammlung von Santiago Rusiñol mit Werken von Picasso und El Greco), voller Neugier in das ver­wir­ren­d-verspielte Ge­wirr aus klei­nen Gäss­chen einzutauchen, in denen ich mich herr­lich ver­laufen und die Zeit ver­ges­sen konnte. Dort scheint die Zeit langsamer zu fließen und hinter dicken Stadtmauern erstrahlen altehrwürdige Stadtpalais, traditionelle Bauernhäuser, romanische Kirchen, tausendjährige Klöster und sogar Überreste alter Festungsanlagen mit Wehrtürmen, die von der bewegten Vergangenheit des einst umkämpften Kataloniens zeugen. Oft saß ich abends draußen und habe gedankenversunken in den Himmel geschaut und die Schönheit der Sonne bewundert (bei meinem jetzigen Kurzurlaub auf Rügen tat ich dies auch und Tardes hat diese Momente vollkommen gemacht), wie sie langsam hinter sanften Hügeln verschwindet und die Blumen blutrot färbt und mit ihnen die halb im Dämmer liegende Landschaft, während die letzte warme Brise der untergehenden Sonne meine Haut noch sanft streichelte. Ich kann mich erinnern damals fast non-stop die Band Manel gehört zu haben, deren Musik die perfekte Kombination zwischen katalanischer Tradition und der Avantgarde der Indie-Folkmusik ist. Dies wäre der perfekte Soundtrack für Tardes.
 
Duftkomposition
Kopf • Ägyptisches Geranium, Bulgarische Rose, Rosenholz, Mandel
Herz • Virginia Zedernholz, Sellerie, Pflaume
Fond • Venezolanische Tonkabohne, Moschus und Heliotrop
 
Die olfaktorischen Impressionen eines katalanischen lazy afternoons öffnen unter dem Eindruck eines Blüten-Sprühregens. Dies ist ein Reichtum an Düften, die wir im Sommer an den idyllischen Weinbergen des Penedès mit Reben so weit das Auge reicht und Olivenhainen neben einigen herrlichen Obstplantagen und tief in der Landschaft verwurzelten Gemüsegärten entdecken können. Wie bei einem Spaziergang durch diese sonnengetränkte Landschaft, verströmt Tardes zu Beginn ein honigartig-süßes Aroma von dunkelrot-leuchtenden Rosen und Geranien – kostbar, flüchtig und perfekt ausgewogen – als ob der Wind sie ganz sacht hin und her bewegen würde. Aus diesem wunderschönen Bouquet lösen sich nach und nach subtil florale Tröpfchen und schweben wie der Hauch eines Blütennektars in der warmen Luft. Bis sich diese in milden, zarten und cremigen Noten weißen Mandelschaums verlieren, der die Blüten mit einer feinen Süße warm umarmt und dem Duft damit seine Geschmeidigkeit schenkt. Durch die Mandeln wirkt die Eröffnung auf mich luftig, hell und klar. Das ist eine wunderbare Dufteröffnung, als würden Mandelbäume ein Rosenfeld säumen und wir uns beim vorübergehen an ihren flüchtigen Wohlgeruch delektieren.

Mir scheint es, als ob die weltbekannte Parfumeurin Daniela Andrier diese filigranen Blüten mit einer Idee von warmen, goldbraun schimmernden, süßen Karamell (welches über diese Blüten fließt und sie so unwiderstehlich macht) interpretiert und mit Anklängen von zartschmelzender Bitterschokolade (oder ist es vielleicht die Tonkabohne, die bereits jetzt schon aus den Tiefen des Fonds aufzusteigen versucht?) und Aromen reifer, kirschroter, fast nachtschwarzer Früchte, von sensationeller Dichte und Konzentration (wunderbar seidig, ausgewogen und mit zurückhaltender Säure) bereichert hat. Wohl mit dem Ziel eine intensive und reizvolle erste olfaktorische Impression zu schaffen, in der die Sinnlichkeit und die Hitze eines Nachmittags zu einer sonnigen Einheit verschmilzt.

Wer sich nun vorstellt, dass Daniela Andrier vor vielen kleinen Fläschchen sitzt und deren Inhalte mit einer Pipette zusammenmischt, den muss ich enttäuschen. Wenn die gebürtige Heidelbergerin Düfte kreiert, ist dies ein eher abstrakter, chemisch-mathematischer Prozess, bei dem sie eine Formel aus Rohstoffen und deren Dosierungen erarbeitet, nicht etwa im Labor, sondern ganz zeitgemäß am Computer (dabei hat sie in ihrem Gedächtnis an die 3000 Rohstoffe, wie „alte Freunde“, verankert, schon als Kind war sie von Düften besessen und mischte sich ihren eigenen Lieblingsduft aus Yves Saint Laurent Rive Gauche und Calèche von Hermès zusammen - wie das Leben so spielt, hat sie Rive Gauche im Jahr 2003 reformuliert).
 
Nach einer Weile beginnt der Duft sich ein wenig kühler zu entwickeln und spielt damit auf die nahende Dämmerung an. Eine aus der Ferne wehende Brise ist wunderbar mit frisch geschnittenem Rosenholz angedeutet. Um Tardes nicht klassisch, sondern einzigartig zu komponieren, kommt im Herzen Virginiazeder mit sündigen Balsamnoten hinzu. Diese holzig-herben Noten mit ihren würzigen Akzenten bieten einen unerwarteten Kontrast zu den süßen Blüten und spenden tatsächlich einen kühlenden Schatten – wie raschelnde Blätter sommerblühender Mandelbäume mit dem erneut aufkommenden überbordenden Duft von Mandelblüten. Die Hölzer schenken dem Duft zudem mit ihrem trockenen Charakter eine charismatische Intensität, in der die rosigen Blüten-Facetten wunderschön nachhallen, während das saftig-frische Prickeln gekühlter Pflaumen, mit süßer Unternote von großer aromatischer Fruchtigkeit, Tardes zum Leuchten bringt.
 
Vom diesem ständigen Wechselspiel zwischen Blüten und Hölzern lebt der Duft und stellt diese blumig-sonnig-holzigen Noten deshalb auch exzellent in den Mittelpunkt. So ist auch der Fond von den zart-vanillig bedufteten und floralen Duftnuancen von Heliotrop geprägt. Vielleicht spielt Heliotrop damit auch den Anker, der die Blüten der Kopfnote im Fond fixiert. Ich spüre, dass die Nacht langsam hereinbricht und zwar nicht, weil es (zeitlich) immer später wird, sondern weil Tardes immer dunkler und wärmer wird. Die süße (durchdringende) Schwere der aromatischen Tonkabohne verströmt ihren warm-würzigen Duft, der mich mit einem leicht bitteren Einschlag besticht, und auf weichen, pudrigen Moschus trifft. Zusammen mit den wiederkehrenden glänzenden, weißen, milchigen Akkorden der Mandel wird eine vibrierende Spannung zwischen Schatten und Licht erzeugt (in vielen Düften wird die Mandel viel zu süß interpretiert, was etwas einfallslos wirken kann, doch in Tardes ist diese Note auf meisterliche Weise ausbalanciert, nicht zu süß, dafür warm und ein wenig crunchy, wie goldbraun-geröstete Nüsse, wunderbar und lecker - Daniela Andrier hat der Mandelnote wohl eine Vielzahl verschiedener Ansätze verliehen, um Wiederholungen zu vermeiden - dabei ist Knusprigkeit, denke ich, der Chiffre, um die Seltenheit und Schönheit dieses Parfums zu verstehen). Diese Mischung besitzt einen samtigen Zauber, den ich unwiderstehlich schön finde und der dem Parfum eine einzigartige Fülle verleiht. Sie schenkt der Basis neben aller Sinnlichkeit auch Würze und Cremigkeit. Ich empfinde den Nachhall als einen reichen Akkord, der dem Parfum eine ausgewogene Lieblichkeit verleiht, die entscheidend zur Langlebigkeit des Dufts auf meiner Haut beiträgt und dabei eine wunderschöne Textur entwickelt, die meiner Haut wie kostbare Seide schmeichelt.

Mit Tardes ist Daniela Andrier (die wir als Parfumeurin vieler wunderbarer Düfte für das Haus Prada kennen, auch das wundervolle Angélique Noire für Guerlain ist ihre Kreation) eine unwiderstehliche Köstlichkeit gelungen, die ihren Reiz aus der verführerischeren honig-süßen Schwere zieht und zu einem reinem, absolutem Genuss einlädt. Trotzdem entwickelt sich Tardes nicht zu einem Gourmandduft, da die Hölzer aus dem Herzen, selbst im Nachhall, eine Portion Trockenheit verströmen und sich mit den pudrig-vanilligen Akkorden des Fonds zu einem opulent-sinnlichen und holzig-floralen Wohlgeruch vereinen.

Dieser pure, gelassene und einnehmende Duft, ist so ungewöhnlich wie schön. Sein Odeur weckt eine innige Wohlfühlstimmung und ein unendliches Wohlbehagen in mir und die Vorfreude auf einen Sommerabend mit gutem Essen, Freunden und der Familie, wenn wir bei einem Glas kühlem Rosé innehalten und den Zauber der uns umgebenden Landschaften auf uns wirken lassen und die betörenden Aromen, die wie ein Hauch in der warmen Luft schweben, genießen. Tardes ist einer dieser besonderen und seltenen Düfte, mit dem wir die banale Realität hinter uns lassen können, um einen magischen Augenblick zu erleben, einen Augenblick der grauen Wirklichkeit entrückt. Dieser herrliche Duft versinnbildlicht die Rückkehr zu den Ursprüngen, als eine Antwort auf der Suche nach innerem Frieden.
 
„Es geht nicht darum, Parfums zu kreieren, sondern Erinnerungen zu wecken,
Erfahrungen zu teilen und Gefühle zu übertragen.“
 – Sara Carner


 
Inmitten dieser sinnlichen Welt unterschiedlicher Aromen von Blüten, Feigen- und Mandelbäumen und Pinien, die vom Pfeifenrauch des Vaters und dem würzigen Aroma gegerbten Leders und der Holzfässer aus der hauseigenen Manufaktur sanft geerdet wurden, ist Sara Carner aufgewachsen. Bereits in jungen Jahren läßt sie sich durch die Duftlandschaft Kataloniens inspirieren. So ist es nicht verwunderlich, dass Sara schon als Kind mit dem leidenschaftlichen Sammeln von Düften und Parfumkerzen aus allen Teilen der Welt begonnen hat und zu einer veritablen Perfumista heranreifte. Damals verliebt sie sich in die Düfte von Hermès, die bis heute eine Referenz der Haute Parfumerie für sie geblieben sind. Eigentlich könnte sich diese Geschichte der sehr attraktiven, hochgewachsenen jungen Frau (und zweifachen Mama), mit darin zum versinken schönen blauen Augen und langen blonden Haaren (optisch könnte Sara glatt als ein skandinavisches Model durchgehen) ach so schön romantisch fortsetzen.

Doch der Weg führt Sara an die Uni (ganz und gar unromantisch). Sie studiert Jura und BWL (noch unromantischer) und arbeitete, ihrem analytischen und zahlengetriebenen Naturell entsprechend, im Finanzsektor (dies hat nun wirklich so überhaupt nichts mehr mit der sinnlich-romantischen Welt der Düfte zu tun, jedoch... erweist sich dieser berufliche Hintergrund als überaus hilfreich, als Sara ihr eigenes Unternehmen gründet). Schon bald sieht die Katalanin, die traditionelle Werte besonders schätzt und diese geschickt mit der Moderne zu verbinden weiß, ihre Karriere in einem kreativeren und dynamischeren Umfeld. Kurzentschlossen siedelt sie mit ihrem Mann nach New York über, wo sie von ihrem Instinkt nach Herausforderungen beflügelt, ihren Master in Brand Management an der renommierten Columbia University macht und eine erfolgreiche Marketing-Karriere im internationalen Beauty-Business beginnt. Zuerst bei Chanel Fragrances und später bei Shiseido (dort taucht sie in die Duftwelten von Elie Saab, Issey Miyake, Narciso Rodriguez und Serge Lutens ein). Bei diesen beiden Luxusmarken mit den renommiertesten Parfumeuren und Profis aus der Beautybranche zu arbeiten und die Werte und Stärke dieser Häuser hautnah zu erfahren, war die beste Schule überhaupt und eine beeindruckende Inspiration, verrät Sara (die eine große Verehrerin der grandiosen Coco Chanel ist).

Zu dieser Zeit beginnt Sara konkret über die Idee einer eigenen Parfummarke nachzudenken und diese langsam zu entwickeln. 2009 beschließt sie, von ihrem familiären Unternehmergeist mobilisiert, dem Big Apple für einige Zeit Goodbye zu sagen und kehrte in ihre Heimat zurück. Im darauf folgenden Jahr beginnt ihr sinnliches Abenteuer und die international gut vernetzte Parfumliebhaberin erfüllt sich mit der Unterstützung von Rafael Lombard (dem Manager von Givaudan in Barcelona) den langersehnten Wunsch von einer eigenen Duftmanufaktur. Carner Barcelona ist geboren und Sara wird zu einer olfaktorischen Botschafterin ihrer katalonischen Heimat.

Von Beginn an sollen drei essenziell wichtige Pfeiler ihre Idee tragen: 1. Hochwertigste Ingredienzien. Um zeitgenössische, unverwechselbare und außergewöhnliche Parfums zu kreieren, die diesen besonderen, unverwechselbaren Charakter von verheißungsvoller Lebenslust und sehnsuchtsvoller Melancholie Kataloniens in sich vereinen. 2. Die Philosophie: Mit Düften Erinnerungen wecken. Sara Carner sieht es als eine spannende Herausforderung an, die Welt um sich herum zu Entdecken und mit ihren Düften Geschichten zu erzählen, von Sehnsucht und wahren Emotionen, von erlebten Erinnerungen und außergewöhnlichen Begegnungen und mit ihnen ein Gefühl von Unbeschwertheit, Freude, Unbesonnenheit und Freiheitsliebe zu vermitteln. Es ist also nicht bloß eine Kollektion exquisiter Parfums, die Sara erschaffen will, vielmehr eine Art der olfaktorischen Kommunikation. 3. Mit ihrem Dufthaus will Sara Carner ihre tief empfundene Liebe für Barcelona, in Duftnoten gebettet, in die Welt hinaustragen. Die Verbundenheit zu ihrer Heimat spiegelt sich deshalb in allen Aspekten ihrer Duftmarke wider. Die Herstellung erfolgt in der Tradition bester katalonischer Manufakturen in der Region und mit den besten Designern und ortsansässigen Lieferanten – angefangen beim Flakon (der mit gemäβigten und minimalistischen Linien die nahtlose Verbindung alter Handwerkstraditionen mit modernen Formen widerspiegelt) über die markante Verschlusskappe aus massivem Holz (die aus nachhaltiger europäischer Forstwirtschaft in Barcelona hergestellt wird – Holz ist zudem eine der sinnlichsten und charismatischsten Duftnoten überhaupt für Sara und deshalb auch in jedem einzelnen Parfum von Carner Barcelona gegenwärtig) bis zur Kartonage, auf der die silbernen Insignien des Markenemblems eine Hommage an die antiken schmiedeeisernen Stadttore von Barcelona aus dem 19. Jahrhundert symbolisieren.

Nur die Parfumeure sind weder katalanisch noch spanisch. Nicht etwa, weil Spanien keine großartigen Parfumeure hätte, och nein, es sei nur an den Meister Ramón Monegal erinnert, sondern weil Sara auch hier dem avantgardistischen und kosmopolitischen Bild Barcelonas treu bleiben will und deshalb mit Nasen aus der ganzen Welt zusammenarbeitet.
 
Diese Ursprünglichkeit und Authentizität macht den Unterschied. Als Genießerin der Düfte kann ich die Leidenschaft hinter der Marke fühlen und das ist wohl der Schlüssel des Erfolgs von Sara und ihrer Marke.
 
Als Frau fühlt Sara Carner eine besondere Affinität zu Daniela Andrier (o. l.) und Sonia Constant (u. r.) und bewundert deren olfaktorische Errungenschaften und Auszeichnungen in einer überwiegend männergeprägten Domäne.
 
Die Inspiration zu Rima XI fand Sara Carner in den Zeilen ihres Lieblingsdichters Gustavo Adolfo Bécquer – einem der bekanntesten Autoren der spanischen Romantik des 19. Jahrhunderts, der mit seiner reflektierten Gefühlssprache die Entwicklung der spanischen Lyrik der Moderne hin zu Juan Ramón Jiménez und Antonio Machado überhaupt erst möglich machte. Doch wie so viele Künstler erfuhr auch Bécquer, der 1836 in Sevilla geboren wurde, zu Lebzeiten keine Wertschätzung seiner Kunst. Zu seinen berühmtesten poetischen Werken, zählen die posthum veröffentlichten Rimas (Reime) und Leyendas (Legenden). Sie erzählen von romantischen Gefühlen und Melancholie, von der wahren, erfüllenden Liebe und der Suche nach dem Absoluten, dem zugleich Unmöglichen (wohl weil auch Bécquer selbst nie das Glück in der Liebe fand, nach dem er sich so sehr sehnte, und bis zum letzten Atemzug ein ewig Suchender blieb). Deshalb wird Bécquer „poeta del amor desesperado“ (Dichter der unmöglichen Liebe) genannt.

Auch Rima XI erzählt von der unmöglichen Liebe. Das Leitmotiv des Dufts enthüllt eine tiefgründige Ambivalenz – eine im ersten Moment engelsgleiche Unschuld offenbart wenig später unaussprechliche Gefahren verbotener Freuden und verlockender Versuchungen und Verführungen, die in vollkommener Hingabe münden.

Ich war bis jetzt nicht mit der Lyrik von Bécquer vertraut und umso mehr gespannt, welche Dimension die Ausdruckskraft des Gedichts nun als Duft annehmen würde. Die olfaktorische Gedichtinterpretation übernahm Sonia Constant und demonstrierte uns damit einmal mehr ihr gefühlvolles Können. Wie ein Duft in ihrem Kopf entsteht, erklärt sie am Beispiel der Arbeiten des Künstlers Alexander Calder. In ihrer Vorstellung sind Duft-Akkorde kleine Planeten, wie die frei hängenden, ausbalancierten Mobiles von Calder, die allein durch Luftzirkulation bewegt werden und somit auf andere Planeten treffen und es zu einem großen Knall kommt. Dann beginnt ihre Arbeit als olfaktorische Bildhauerin. Sie entfernt eine Ingredienz nach der andern, um mit dem Minimum an Ingredienzien das maximale und bestmögliche Ergebnis zu erreichen (dabei ist es ist viel einfacher Zutaten hinzuzufügen, als zu entfernen). Diese Kunst kurzer olfaktorischer Formeln und die Magie des olfaktorischen Geschichtenerzählens lernte sie von Christine Nagel. Ich kann kaum glauben, dass Sonia der Überzeugung ist, die besten Parfums entstehen aus Fehlern (und sie verweist auf die Aldehyde in Chanel N° 5).

Der Schlüssel zu Sonia Constants künstlerischen Schaffensprozess liegt in ihren zahlreichen Reiseerfahrungen. Aus diesen schöpft sie viele ihrer Ideen. Die ersten Ausgangspunkte für Rima XI waren ein süß-würziges Eis-Dessert (das sie in Indien kennengelernt und sehr genossen hat) sowie das Reisgericht Biryani. Daraus erschaffte sie einen der reichsten, warm-würzigsten und weichsten, zartesten und sanftesten Gewürz-Düfte, die ich je erlebt habe und verlieh damit dem unmöglich zu erfassenden erdichtetem Geschöpf aus Dunst und Licht eine olfaktorische Gestalt. Normalerweise, wenn von Gewürzen die Rede ist, denken alle sofort an in der Nase kitzelnde oder gar stechende Aromen. Rima XI ist das vollkommene Gegenteil davon. Es ist sehr subtil aufgebaut und lockt verführerisch mit exotischen Gewürzen, die verleiten der Trägerin des Parfums näher zu kommen, um diesen Duft aus nächster Nähe zu genießen.
 
Duftkomposition
Kopf • Guatemala Kardamom, Schwarzer Pfeffer aus Madagaskar, Marokkanische Nanah Minze
Herz • Ceylon Zimt, Indonesischer Muskat, Indischer Jasmin-Sambac
Fond • Australisches Sandelholz, Ambra und Moschus


 
Die Intensität und gleichsam Flüchtigkeit dieser Vision finden sich bereits in der sündhaft gewagten Ouverture. Diese wirkt auf mich, wie ein überwältigender Mix von exotisch-frischen Duft heißer, gerösteter Kardamomkörner, die mit der Zeit sehr transparent werden und mit einer Prise leicht pfeffriger Nuancen zusammengemischt sind. Auch kann ich feinsten, sonnen-goldenen (nahezu transluzenten), warmen Safran ausmachen. Die erste Phase des Dufts auf meiner Haut ist von diesem harmonisch abgestimmten Aroma mit leicht bitteren und scharfen Noten geprägt, die intensive, süß-würzige Akzente setzen und der Kopfnote ihre sinnlich-exotische Aura geben. Doch für den ultimativen Überraschungsmoment sorgt meine Assoziation mit Keksen mit der berühmten Schokoladen-Nougat-Haselnuss-Füllung (Rima XI entwickelt sich aber keinesfalls zu einem Gourmand-Duft, sondern wird weich und zart, delikat, blumig-orientalisch, aber trotzdem stets kraftvoll gewürzt – bezaubernd diese Zusammenstellung an Duftnuancen). Doch nicht genug der ultimativen Überraschungsmomente. Rima XI überrascht mich mit der belebenden Frische marokkanischer Nanah Minze (die ich nur als Teemischung kannte, aber geschmacklich nicht so aromatisch und frisch in Erinnerung hatte). Ihre milde Süße rundet die wohltuenden erfrischenden und kühlenden Eigenschaften dieser besonderen Minze ausgezeichnet ab (im Gegensatz zu anderen Minzarten enthält sie weniger Menthol und ist deshalb so viel milder) und verleiht dem Duft eine großartige, aromatische Komplexität - sinnlich und aufregend. Mir fällt kein Parfum ein, das nur annährend so ungewöhnlich und sensationell-schön und dabei auf rätselhafte Weise so geheimnisvoll-verlockend duftet.

Im Herzen des Dufts setzt sich der überbordende Akkord von Gewürznoten fort, wird intensiver, verführerischer und fesselt mit dem charakteristischen pikanten Gewürzduft der Muskatnuss, die vom aromatischen Zimt (allerdings nicht zu lieblich und zu süß interpretiert und traditionell Kindheitserinnerungen und Winterbilder weckend, sondern scharf, würzig und schwer) und wohl auch Koriander mit seinem würzigen und leicht blumigen Geruch (der den floralen und grünen Tenor des Dufts aufgreift) flankiert wird. Die Parfumeurin Sonia Constant hat das Herz sehr dynamisch und kraftvoll gestaltet. Dabei erzeugen die Gewürze einen wahren Wirbel für den einzigartig strukturierten fließenden Blütenakkord des Jasmin Sambac-Absolue (und dieser ist so entzückend-schön!). Jasmin fällt in diesen Wirbelsturm und verändert sich ständig... erscheint zuerst sehr frisch und schlicht, nur dezent lieblich-fruchtig-floral verziert (würde ich sagen). Aber diese verhaltene Anmutung einer unschuldigen Aura vermag nur kurze Zeit zu täuschen. Nach und nach streift Jasmin alle Hemmungen ab und offenbart ein zweites, dekadentes Gesicht mit animalischen, schweren und sehr sinnlichen Nuancen, die eine hypnotisierende, unzähmbare Sinnlichkeit heraufbeschwören. Ich liebe den Duft leuchtender unschuldiger Zartheit und schwarzer Magie des facettenreichen Jasmins. (À propos Jasmin - ich habe gelesen, dass Cleopatra auf Reisen die Segel ihres Schiffes stets mit Jasmin beduften liess, um den Wind „liebestrunken“ zu machen, damit er sie sanft uns sicher in den nächsten Hafen geleitet. Was für eine schöne Vorstellung...)
 
Nach und nach verflüssigen sich diese würzigen und floralen Essenzen und verschmelzen mit betörenden Hölzern (die Edelhölzer verleihen der Kreation Struktur und schenken den balsamischen Noten eine ausgewogene Balance). Langsam verflüchtigt sich der Duft in einem balsamisch-süßen und holzig-warmen Rauch, der sich (ganz gewiss so kommt es mir vor) über köstlich vanillierte Noten legt (diese muten jedoch nicht besonders süß an, eher wie eine schwarze Vanilleschote - deshalb trägt die Vanille-Nuance auch nicht zu einem Gourmand-Charakter bei, sondern lenkt den Duft auch im Fond in orientalische Gefilde). Dabei entsteht eine sehr tiefgründige, weiche und würzige Komposition mit feiner Herbheit, trockener Süße und einer hauchzarten Pudrigkeit. Der Nachhall entwickelt sich über einige Stunden weiter, Rima XI durchlebt viele olfaktorische Metamorphosen auf meiner Haut und wird von Stunde zu Stunde immer cremiger, immer wärmer. Eine unwiderstehliche, geradezu betäubende Wirkung entsteht durch wenige Tropfen Benzoin und ein harzig-holziges Flair und sinnlich-sanfte, überaus anschmiegsame und balsamisch-süße und sehr wärmende Ambra-Noten besiegeln den Zauber des Gedichts von Bécquer. Wie ein leichter Nebel steigt im Stillen die seidige Textur von goldenem Moschus empor, um dem Duft abschließend noch mehr Dichte und noch mehr Samtigkeit zu verleihen.

Ich würde den Duft als sehr verführerisch bezeichnen, allerdings verführt Rima XI nicht offensiv und direkt, sondern mit ausgezeichnetem Feingefühl und hintergründigem Charme. Die Harmonien der Duftnoten sind meisterhaft und in der Art nicht oft anzutreffen. Jede einzelne der edlen Nuancen wurde fein ausbalanciert, nichts dem Zufall überlassen und in vollendeter Perfektion miteinander verwoben. Interessanterweise bleibt der Duft dennoch schwer greifbar für mich und wohl deshalb so besonders, dass ich mich Sprühstoß um Sprühstoß an Rima XI verliere.
 
Ich muss schmunzeln und an einige Szenen der Romantikkomödie Vicky Cristina Barcelona mit Penélope Cruz denken – und nein – ich habe nicht die pikante Ménage à trois aus dem Plot im Sinn, auch nicht die vielbeschworene Femme fatale – sondern das typisch iberische Lebensgefühl, die mediterrane Sinnlichkeit im Besonderen und die Kunst des Lebens und Liebens im Allgemeinen – die blanken, ungestümen Emotion der von Penélope Cruz verkörperten María Elena – verführerisch, kühn, unerreichbar mit all ihrer Leidenschaft und Melancholie (in einem Interview erzählte Penélope, dass in einer Eifersuchtsszene zwischen ihr und Javier Bardem Regisseur Woody Allen die beiden einfach improvisieren ließ – auf Spanisch – ohne zu wissen, was sie sich gegenseitig an den Kopf werfen). Genau so stelle ich mir die Frau, die Rima XI auf ihrer Haut trägt vor – mysteriös und sinnlich, mit einer versteckten Kraft der Zerstörung unter ihrer strahlenden Unschuld, ungehorsam und doch verletzlich, fesselnd, unvergesslich, die Ungeduld der Verliebtheit in sich tragend, die sinnliche Zuneigung zu ihr ist unmöglich zu bezwingen… so liebt sie ihn, trennt sich von ihm, kann doch nicht ohne ihn leben und verzehrt sich vor Eifersucht beim Gedanken, er könnte sich in eine andere Frau verlieben... was zurückbleibt ist die unerträgliche Leidenschaft des pochenden Adrenalins, als würden die Schlussworte des Gedichts zum Leben erwachen.

?Yo soy un sueño, un imposible,
Ich bin ein Traum, ein unmöglicher,

vano fantasma de niebla y luz,
Ein vages Gespenst aus Dunst und Licht,

soy incorpórea, soy intangible:
Ich bin körperlos, ich bin unantastbar: 
 
no puedo amarte.
Ich kann dich nicht lieben.

?¡Oh ven, ven tú!
Oh, komm, komm du!


Fotos & Video © Carner Barcelona
Mariona Planas – Diario de Estilo ELLE España
Carner Barcelona Illustration – Ricardo Dovale IED Barcelona Escola Superior de Disseny
 Portrait Daniela Andrier & Sonia Constant – Givaudan